(418) Ein Umbau und zwei Verluste
Ein Haus zu finden ist das eine (siehe letzten Beitrag), es umzubauen eine andere Geschichte. Zuerst suche ich einen Architekten. [Weiterlesen …]
In der dritten August-Woche 2005 kann ich zügeln. Zu den Vorbereitungen gehört der rechtzeitige Kauf eines neuen Autos. Sechs Monate vor dem Umzug gekauft, gilt das Auto als Zügelgut und der Zoll schlägt keine französische Mehrwertsteuer von fast 20 Prozent drauf.
Die renommierte Zürcher Zügelfirma drückt mir eine Liste in die Hand, und ich registriere den Inhalt jeder Schachtel und sämtliche Möbel. Natürlich in französischer Sprache. Die Züglerei ging gründlich daneben. Das Zürcher Unternehmen vergibt ohne mein Wissen den Auftrag einer kleinen deutschen Umzugsfirma. Der eine Packer funktioniert nur, wenn er von Zeit zu Zeit einen Joint rauchen kann. Dadurch ergeben sich grössere Verzögerungen. Zum Glück sehe ich rechtzeitig, dass der Zügelwagen zu klein ist. Geplant war, dass der Zügelwagen am anderen Tag im Verlauf des Morgens am neuen Wohnort eintreffen würde. Sie bleiben im Zoll hängen und brauchen die Mithilfe der Transportfirma Settelen in Basel. Später verfahren sie sich, und ich muss sie per Telefon herlotsen. Sie treffen dann in der Nacht ein. Es ist gar nicht praktisch, im fast finsteren Haus Möbel und Schachteln in die richtigen Räume zu stellen. Um 23 Uhr machen sie sich davon. Am anderen Tag sehe ich mit Entsetzen, dass die schwersten Schachteln in den falschen Räumen stehen. Was in den Estrich gehörte, finde ich im Keller wieder und umgekehrt. Da fühle ich mich sehr allein.
Zum Glück hat mein Elektriker Erbarmen und kommt sofort die Lampen montieren. Bei dieser Gelegenheit gibt er mir den Rat, vor dem Transport meiner vier Katzen die Katzenkörbe mit “Felifriend” zu behandeln. Kurzentschlossen fährt er in die 15 Kilometer entfernte Tierklinik um mir das Produkt zu besorgen. Der Katzentransport erfolgt in zwei Stufen. Vor dem Umzug hatte ich meine Vierbeiner zu Freunden nach Arlesheim gebracht. Zwei Tage nach dem Umzug hole ich sie dort ab. Dieses “Felifriend” hilft, Ruhe herrscht. Das Auto verzolle ich selber, bevor ich die Katzen abhole. Ich bin die einzige Frau, die das macht, und ich erfahre beim Zoll Saint Louis eine ganz vorzügliche Behandlung. Ich muss nur bei zwei Stellen vorsprechen, an Stelle der üblichen drei Stellen. Ich komme in Rekordzeit durch. Auch Franzosen können Gentlemen sein!
Die erste Versicherung schloss ich für die Renovation des Hauses ab. Mein Immobilienhändler und auch mein Architekt schlugen mir “Monsieur P…” in Cluny vor. Der war äusserst geduldig beim Erklären und machte mir einen guten Eindruck. Sobald ich umgezogen war, musste die Bauversicherung in eine normale Hausversicherung umgewandelt werden. Da stellte ich fest, dass viele Begriffe in Frankreich eine andere Bedeutung haben. Unter Mobilien wird was anderes verstanden als in der Schweiz. Die Autoversicherung will meinen vollen Bonus nicht anerkennen und steckt mich in eine andere Klasse. Die Beratungen sind aufwendig, zum Teil wegen meines unzureichenden Versicherungswortschatzes. Dann brauche ich einen aufgeschalteten Telefonanschluss. Dazu muss ich den Nachweis eines französischen Bankkontos erbringen. Mein Konto hatte ich, ich musste den Kaufvertrag des Hauses vorlegen, beim Credit Agricole eröffnet. Die sind in meiner Region lokal stark verankert. Ist ein Kunde verhindert, die Filiale zu besuchen, weil chronisch krank, alt oder arbeitet am Tage auf dem Felde, werden Hausbesuche gemacht! Da wundere ich mich schon. Meine Beraterin kommt auch vorbei, ich glaube sie will sehen, was ich aus dem Haus gemacht hatte. Dabei trifft sie auf meinen Versicherungsagenten und will ihm den Versicherungsauftrag abjagen. Ihre Beratung bezüglich Versicherung ist aber so inkompetent, daß der Credit Agricole bei mir keine Versicherung plazieren kann.
Für die Aufschaltung des Elektrisch und des Wassers reicht eine aktuelle Telefonrechnung als Garantie. Während dieser Zeit habe ich immer den Bankkonto-Nachweis, eine aktuelle Telefonrechnung und später auch noch eine Rechnung von EDF (Electricité de France) in meiner Tasche. Bezüglich EDF gibt es eine Besonderheit. Man löst ein Abonnement für eine bestimmte Leistungsklasse. Aufgrund der Aussagen in Oliver Kirners Buch erkannte ich, dass ich ein 9kVA Abo brauchte. Nach einer Woche im neuen Haus, ich hatte die Waschmaschine, den Tumbler und den Geschirrspüler in Betrieb, will ich mir zur Stärkung eine Pizza backen. Es gibt einen grossen Chlapf und “rien ne va plus”. In meiner Umgebung sehe ich die Lichter brennen, also muss etwas bei mir sein. Am Sicherungskasten sehe ich nichts Aussergewöhnliches. Die Hotline des EDF empfiehlt mir, den Elektriker zu holen. Der erscheint und verschwindet wider Erwarten in den Keller. Da ist, oh Wunder, der Hauptanschluss. Er sagt, ich hätte zu viele Apparate laufen. Er habe sich nämlich gedacht, ein 6kVA Abo für eine Person würde genügen und deshalb diesen installiert. Für einen 3-stelligen Euro-Betrag erscheint EDF nochmals und installiert die erforderlichen 9kVA. Selbstverständlich will sich da der Elektriker nicht beteiligen. Die Schweizer sind ja reich und verhalten sich auch unüblich.
Letzthin brauchte ich die Autoversicherung. Auf einer Schnellstrasse wollte auf der Gegenfahrbahn, trotz Sicherheitslinie, einer überholen. Plötzlich hatte ich ihn gegenüber. Ich konnte noch ein bisschen nach rechts ziehen, aber leider nicht ausreichend. Er erwischte mich links, es gab einen gewaltigen Lärm. Im Rückspiegel sah ich, wie er auf meiner Seite die Leitplanke küsste, eine Pirouette drehte und weiter hinten zwei weitere Wagen erwischte. Trotz einstündiger Reanimation verstarb er, ein Kinderarzt, auf der Unfallstelle. Eine weitere Person hatte eine stark verletzte Hand. Drei Kinder in einem der touchierten Wagen blieben zum Glück unverletzt. In solch einem Fall ruft man, wie in der Schweiz, die Polizei. Anschliessend hole man aber nicht den TCS, sondern man ruft die Hotline seiner Versicherung an. Die bietet den Abschleppdienst auf, besorgt später ein Taxi und noch später einen Ersatzwagen. Laut Gesetz habe ich für 10 Tage einen Ersatzwagen zu gute. Leider braucht der Experte mindestens 10 Tage um die weiteren Schritte, Reparatur oder Geld für den Kauf für ein ähnliches Fahrzeugs, freizugeben.
Der andere liess dort sein Leben (Bild: Catherine Beuret)
Da die die meisten Franzosen keine Automaten fahren, fand sich im ganzen Departement nur gerade ein SMART mit Automat. Jetzt mache ich mit dem SMART meine Grünabfuhr! Die Hotline der Versicherung rufe ich auch an, wenn mein Auto nicht mehr starten will. Bei einer Versicherung - “km 0″ - kommt jemand vorbei und repariert vor Ort. Einen Automobilclub gäbe es in Frankreich, aber da wären nur Adelige und Wirtschaftsgrössen Mitglieder. Die Polizei bot mich später zu einer Zeugenaussage auf. Sobald ich meinen Versicherungsagenten “Monsieur P…” erwähnte, wurde man ausserordentlich freundlich. Alle scheinen ihn zu kennen und zu achten. Die Zeugenaussage musste ich anschliessend unterschreiben. Es war gar nicht einfach die genauen Wörter zu finden um den Unfallhergang zu schildern. Weiss jemand von Euch was auf Französisch “ausscheren”, “Sicherheitslinie”, “Leitplanke”, “Aufprall”, “Bremsspuren”, usw. heisst? Ãœbrigens: Eine Woche später verstarben an der gleichen Stelle zwei Menschen und vier waren verletzt. Die Strasse ist schnurgerade und übersichtlich.
Fazit: Immer schön cool bleiben und sich von berüchtigten Schnellstrassen fernhalten.
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Hinweis: Am 4. September startet die fünfteilige TV-Serie «Auf und davon» im Schweizer Fernsehen. Die Serie berichtet von ausgewanderten Schweizerinnen und Schweizern. Die pensionierten Auswanderer vertritt der ehemalige «Tagesschau»-Moderator Hansjörg Enz. Er lebt als Entwicklungshelfer im Kongo.
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