Elisabeth Hilfiker
  2002 nach Apulien (ITA) ausgewandert.

(372) Der Hase liegt im Detail

Auf dieser ersten Reise als frischgebackene “Auslandschweizerin” war ich in mich gekehrt, müde und beklommen. Mein verständnisvoller Kollege gab mir den nötigen Raum dazu und gleichzeitig liess er mich seine Anteil nehmende Präsenz fühlen.

Keine Zeit für Hausaufgaben

Das genau war es, was ich in diesem Moment am meisten benötigte. Jeder Kilometer entfernte mich unaufhaltsam weiter von meinem altbewährten, tragfähigen Freundeskreis, mir lieb gewordenen Orten, von meiner Sprache und Kultur. Meine nur rudimentären Italienischkenntnisse verunsicherten mich plötzlich zu tiefst. Mich differenziert und möglichst vielseitig auszudrücken ist mir ein fundamentales Bedürfnis. Wohl nicht zuletzt aus diesem Grund hatte ich mich als Berufsfrau intensiv für die Förderung und Unterstützung jeder nur möglichen Kommunikationsform unserer betreuten Klienten engagiert. Für den Italienischkurs im vergangenen Jahr hatte ich leider kaum noch Zeit, dafür umso mehr gute Ausreden, um die Hausaufgaben nicht zu machen!

Ben Hur lässt grüssen - kein Platz für Aussätzige!?

Und jetzt will ich Ihnen, liebe LeserInnen eine wahre Geschichte erzählen:
Bruno, ein gebildeter, netter italienischer Freund hat mich zu einem Rundgang durch seine weitläufige biologisch betriebene Obst- und Gemüseplantage eingeladen. Begeistert zeigt und erklärt er mir sein Lebenswerk.

Irgendwann weist er auf ein grossräumig eingezäuntes Grundstück und es entwickelt sich folgender Dialog:

“Dies hier ist ein Refugium für Leprakranke.”

“Gibt es tatsächlich noch solche in Italien?”

“Ja, doch, aber nicht mehr viele. Die meisten kommen aus Norditalien.”

“Hat es denn auch Kinder dabei und warum überhaupt werden sie hierher gebracht?”

“In den meisten Fällen handelt es sich um Schwache oder Kranke, mehrheitlich Jüngere. Freiwillige Helfer kümmern sich um deren Pflege und Betreuung.”

Auf meine nächste Frage hin antwortet er zögernd:

“Ja, ich denke schon, dass da auch Fachleute darunter sind.”

“Ist das ein staatliches Projekt?”

“Nein, wo denkst du hin, die tun doch nichts!”

“Was geschieht dann später mit den Betreuten?”

“Ca. nach einem Jahr, wenn sie sich gut erholt haben, werden sie ins normale Leben entlassen.”

“Was wird sie erwarten, in diesem ‘normalen’ Leben?”

Da macht Bruno wortlos die unmissverständliche Geste des Erschiessens.

Ich erstarre und frage dann: “Bruno, kann es sein, dass wir nicht von der selben Sache sprechen?”

“Also ich”, sagt er, “ich spreche von”, und mimt mit je zwei aufgerichteten Fingern links und rechts am Kopf, etwas Nagetierähnliches.

Kurze Pause, dann brechen wir beide in ein schallendes Gelächter aus.

Der Teufel hockt im Detail:

le lepre = Hasen / i
lepri = die Leprakranken.

Diese Geschichte macht im Salento mittlerweilen die Runde. Es passierte tatsächlich, dass mich jemand bei unserer ersten Begegnung strahlend fragte: „Bis du etwa die Elisabette mit den Hasen?”
Ja, die bin ich!!

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Kommentare

  1. Mariann Brunner

    29.05.2009 16:56

    Das ist ja eine total wundersame Geschichte, die mit dem Hasen……… so schön Elisabeth, ich höre Dich und der mir unbekannte Bruno lachen, das Lachen tut mir gut bis hieher nach Zürich……….. ( Was ich rieche ist ein so schmackhaft zubereiteter Chüngel wie Du ihn kochen kannst, sorry Chüngel oder Hase, ich liebe euch, lebendig und auch aus der Bratpfanne) Ja, so bin ich. Gruss Mariann