Hanspeter Zgraggen
  Seit 2003 mit Ehefrau Graciela in Nicaragua.

(365) Strassenverkauf

Die Kirchuhr schlägt eben sieben Mal, als ich heute von der Finca zurückkomme. Zeit, um zu frühstücken mit Frau und Tochter. Danach öffne ich die Holzflügeltür des kleinen Ladens und ziehe das schwere Eisengitter vor den Ladeneingang, welchen ich mit einem Madenschloss (Anm. Careguide: Vorhängeschloss) gesichert habe. Vorichtsmassnahme und erstes Gebot hier: Wenn man nicht dauernd im Laden präsent sein will oder kann, muss eine solche oder ähnliche Sicherheit eingerichtet werden. Die Not hier bei weiten Teilen der Bevölkerung zwingt manche zum Diebstahl…

Alltag mit Hindernissen

Ich sitze also in meinem kleinen „Büro” hinter unserem ebenso kleinen Dorfladen und will eigentlich am Laptop einen Bericht über die letzte Fahrt nach Rivas schreiben. Da mir dazu aber einige Daten fehlen, welche ich auf dem Notizblock notiert hatte und da ich diesen im Auto liegen gelassen habe, widme ich die heutige Aufzeichnung anderer Aktualität. Der Zugang ins Internet funktioniert allerdings wieder mal nicht. Nicht festzustellen, ob es an einem Serverproblem oder „nur” am Internetkaffee im Hause liegt, bei dem ich meinen Zugang mitbenutze. Der Betreiber des Internetkaffees, ein Verwandter meiner einheimischen Frau, öffnet jeweils seinen Laden um acht Uhr - das kann aber ohne weiteres auch mal gegen Mittag sein - oder gar nicht. Also muss ich mich anderen Aufgaben zuwenden - fürs Erste diesem Bericht für die Stafette.

Kaum habe ich mit Schreiben angefangen, ertönt der erste Ruf am Gittertor. Ich kenne die Stimme schon und weiss, dass der Rufer mich nicht als Kunden ans Gitter ruft, sondern weil er seine Ware anbieten will: Ein Strassenverkäufer, der auf seinem Kopf einen riesigen geflochtenen Korb balanciert und herrliche Früchte wie frische Ananas, Avocados und Mangos anbietet. „Parata parata” versichert er mit rollenden Augen und schickt sich an, den Korb runter zu holen und mir seine Ware noch schmackhafter zu machen. Ich aber winke energisch ab und leicht enttäuscht geht er weiter - schon wieder mit seiner lockenden fröhlichen Stimme beim Nachbar anklopfend.

Draussen vor der Tür

Kaum setze ich mich wieder, kommt der Nächste: Diesmal eine Frau, die Tomaten anbietetet. Da meine Frau bereits zum Einkaufen ins Dorf gegangen ist, muss ich wieder eine Absage erteilen.

Dieser Morgen hat es in sich. Auch der Dritte und die nächsten Rufer an der Türe sind keine der erhofften und doch eher raren Kunden, sondern Leute vor allem vom Berg, welche ihre Produkte zum Kauf anbieten. Da wir kurz vor einer Feiertagswoche stehen, wird besonders viel von Tür zu Tür angeboten. Es ist eine Zeit, in der viele nicht arbeiten und von auswärts nach Hause zu Besuch kommen. Entsprechend viel Bargeld ist im Dorf. Hinzu kommt, dass die Leute hier in dieser Zeit erhöhten Geldbedarf haben, nicht zuletzt um an den heissesten Tagen im Jahr - wenns hoch kommt - ans Meer oder doch zumindest an den Fluss zu fahren.

Der Markt vor dem Haus

So kommen dann heute neben den bereits Genannten noch die Fleischverkäuferin mit geräuchertem Speck, mehrere BlumenverkäuferInnen, zum Teil mit herrlichen Orchideen direkt aus den umliegenden Bergen, den üblichen “Pyricaias” aber auch “Exoten” wie Millforas - also unsere Hortensien - oder Geranien, Farnen sowie den ersten Nationalbumen, die „Flor de Maya” - besser bekannt unter dem Namen Frangipani - in schneeweiss oder ab und zu in den eher seltenen zarten Farben von gelb über rosa.
Auch die Schuhputzer scheinen heute geradezu kolonnenweise vorzusprechen. Meist warten sie jeweils am Strassenrand auf ihre Kunden. Doch vor grossen Festen ziehen auch sie von Haus zu Haus und kommen hier zu „Grossaufträgen” - manchmal fünf oder gar zehn Paar Schuhe aufs Mal. Pro Paar werden üblicherweise 5 Cordoba verlangt, manchmal aber auch 10. Das ist im Vergleich recht viel, verdient doch ein Landarbeiter für einen strengen 6-8 Stundentag zwischen 40 - und 100 Cordobas - je nach Arbeit. 10 Cordoba sind nach heutigen Wechselkurs gerade Mal 63 Rappen oder 0,41 Euros…

Schlaraffenland?

Klar ist, dass die Leute hier sich sehr anstregen müssen, um etwas Geld verdienen zu können, zumal es kaum Arbeit gibt. Vielleicht tun deshalb Viele gleich gar nichts und liegen Verwandten, welche im Ausland ihr Geld verdienen, auf der Tasche. Oder sie versuchen zum x-ten mal irgend ein verlockend klingendes eigenes Geschäft mit geborgtem Geld. Bei den Wucherzinsen hier ist sind solche Unterfangen aber meist von vorneweg zum Scheitern verurteilt (siehe auch früheren Bericht).

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Weiterführende Links 
Frangipani
(362) Wucher

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