Hanspeter Zgraggen
  Seit 2003 mit Ehefrau Graciela in Nicaragua.

(363) Chupacabra

Schon am Vortag - oder genauer: in der Nacht des Vortags - hatte sich das Unglück angebahnt. Der jüngere der beiden festangestellten Farmarbeiter war diese Nacht alleine, da sein Bruder seinen freien Tag hatte und ausnahmsweise auch die Nacht nicht auf der Farm, sondern wohl bei seiner Freundin verbrachte.

Schwer verletzte Pellibuey

Gegen elf Uhr nachts, so berichtete er mir am Morgen, habe Ruffo, unser Hofhund, stark angegeben. Selber habe er aber zu grosse Angst gehabt, um nachzusehen. Gemeinsam gingen wir der Sache nach und bald fanden wir die Ursache für das nächtliche Gebell: Unser hochträchtiges Pellibuey (hier ausgesprochen “peliquey”) - eine Kreuzung zwischen Ziege und Schaf - sass schwer verletzt in einer Ecke seines Koralls. Der rechte Hinterlauf war blutüberströmt und am Hinterteil war eine riesige offene Wunde. Etwa 1 kg Fleisch fehlte dort. Ich rief sofort nach einem Tierarzt. Doch wieder Mal war keiner zu erreichen. So holte ich in der Tierapotheke rasch einen Wundspray und wies die Arbeiter an, die grosse Wunde mit Sablia (Aloe vera) zu reinigen, bis ich zurück wäre.

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Unser Pellibey vor dem Angriff
(Bild: Hanspeter Zgraggen)

Erstaunlich war, dass das Pellibuey kaum Schmerzen zeigte und die Behandlung ruhig über sich ergehen liess sowie das Futter annahm.

Notschlachten oder retten

In der Apotheke riet man mir aber trotzdem, das Tier notzuschlachten, um sein Fleisch retten zu können. Ich besprach mich mit meiner Frau und wir kamen zu einem anderen Schluss. Wir wollten versuchen, Mutter und Ungeborenes zu retten, auch wenn uns klar war, dass bei einem Scheitern das Fleisch ungeniessbar würde. So gaben wir der Apotheke den Auftrag, bis zum Abend Spritzen und Antibiotika zu besorgen. Ich bot für den Abend zwei Tierärzte auf.
Leider kam keiner von beiden… Beide liessen ausrichten, dass sie erst am folgenden Morgen kämen.
So legten wir dem Pellibuey einen Notverband an, belegten die Wunde mit frischem Aloe vera, und ich ging nach Hause ins Dorf - schlief aber naturgemäss wenig und unruhig.
Schon um vier Uhr hielt ich es nicht mehr aus und eilte wieder auf die Farm. Das verletzte Tier schien die Nacht gut überstanden zu haben. Wir wechselten den Notverband und warteten auf die Ärzte. Gegen sieben Uhr war noch keiner zu sehen. Da entschloss ich mich, die Spritze selber zu setzen, reinigte die Wundränder mit Seifenwasser und Alkohol und setzte, wie von der Apotheke angewiesen, 12ml der Antibiotika-Flüssigkeit intramuskulär. Die Wunde stank bereits fürchterlich - doch das Tier genoss unsere Hilfe offensichtlich und leckte uns die Hände. So gingen wir zum Tagwerk über.

Futterfahrt an die Grenze zu Honduras

Wir fuhren wieder - wie fast jede Woche (siehe auch früheren Beitrag) - ins rund 50 km entfernte Hochland vor dem Grenzübergang nach Honduras zu einem Vorort des Grenzdorfs Las Manos. Hier hatte ich vor kurzem eine sehr aktive Familie kennen gelernt, die dort auf etwa 1300 m ü. M. eine sehr gepflegte Kaffeeplantage betreibt. Die Schattierung macht sie derzeit mittels Plátanos - also Kochbananen - , Rizinus und Taiwan, einem fast 2 m hoch wachsendem Gras. Ich habe den Leuten von “meinem” Moringa erzählt und konnte sie dafür gewinnen, einen Versuch mit dem Anbau “meiner” Haupt-Heilpflanzen zu machen (siehe auch früheren Beitrag). Die Samen werde ich ihnen schenken - dafür bekomme ich dann die Blätter, Blüten, Rinden und Stecklingen exklusiv angeboten. Heute musste ich gar den vereinbarten Kaufpreis von 100 Cordoba (4.17 Euro zum heutigen Kurs) für eine ganze Camionetta voll mit dem saftigen Grün nicht zahlen, da ich im Tauschhandel 10 Säcke Kuhmist brachte.

Kaiserschnitt kommt zu spät

Als wir am frühen Nachmittag die schwere Arbeit beendigten und mit dem grossen Fuder so schnell wie möglich auf die Farm fuhren, erwartete uns dort ein Schock:
Unser Pellibuey lag fiebrig am Boden und hatte offensichtlich schwere Schmerzen: Die Augen waren trüb und alle Bemühungen, es auf die Beine zu stellen, waren erfolglos. Ich telefonierte mit meiner Frau und meldete ihr die neue Lage sowie meinen Entscheid, die Qualen des Tieres zu beenden.
Meine beiden Farmarbeiter und auch ich brachten es nicht übers Herz, das zu tun, was zu tun war. Gottseidank waren die beiden Taglöhner noch da, und ich bot denen einen Sonderlohn. Wir betäubten das Muttertier erst und versuchten, das Junge per Kaiserschnitt zu retten: Leider war das aber bereits tot im Mutterleib - vermutlich beim Angriff der Bestie schon gestern Nacht gestorben. Mit sicherer Hand setzte einer der beiden Helfer die Klinge und erlöste das Muttertier von seinem Leiden. Dabei sahen wir, dass auch am Bauch einige Kratzer und Bisswunden zu sehen waren und dass sich im Hinterbein bereits viel Brandwasser angesammelt hatte. Das Tier hätte so die nächste Nacht nicht überlebt und wäre qualvoll verendet.

Wer hat Angst vorm bösen Chupacabra

Ich wies an, das Fell sorgfältig zu lösen, um so die Wunde und den Überfall des unbekannten Täters beweisbar zu erhalten. Das Fleisch teilten wir in Portionen und ich fror es in der grossen Tiefkühltruhe ein. Wir werden das dann mal mit Gerste und Gemüseresten gar kochen, um es danach wieder in Portionen für die Hunde zu verwenden. Die Innereien, den Kopf und den gerissenen, mit Desinfikationsspray besprühten Hinterlauf vergruben wir an einer vom Farmhaus entlegenen Stelle.
Ich gab eine halbe Flasche Rum aus - Alkoholkonsum ist sonst auf der Finca strikte verboten und nur an ganz seltenen Festtagen wird da eine Ausnahme gemacht: Heute aber konnten wir den gebrauchen… Natürlich ging es dann gleich los mit wilden Vermutungen - was für ein Reisser dieses Unheil zugefügt haben könnte. Die am wohl naheliegendste Antwort, nämlich ein Coyote, kam weniger in Frage, da diese Tiere selten in der Nähe von menschlichen Anwesen angreifen. Das gilt auch für den hier in Nicaragua wild lebenden Puma oder Jaguar.
Dann aber kam der Tipp, dem alle sofort zustimmten: Ein Chupacabra. Da ich den Ausdruck vorher noch nie gehört hatte, eilte ich nach Hause und sah im Internet nach und telefonierte mit meinem Freund Jakob.
So erfuhr ich, dass damit ein Fabeltier gemeint ist, das man hier in Zentralamerika mit wilden Geschichten umgibt und dessen Existenz fast jedermann von Gross bis Klein anerkennt - das wissenschaftlich aber klar als modernes Fabelgeschöpf klassiert ist.
Auch soll die nicaragische Zeitung El Nuevo Diario berichtet haben von “…unglaublich vielen toten Schafen, deren Tod daraus resultiert, dass ihnen das Blut von einem unbekannten Raubtier ausgesaugt wurde. Dieser Chupacabra besitzt Fangzähnen, die so groß sind, seinem Opfer den Nacken zu durchtrennen.”

Der Chupacabra wird im allgemeinen als “dreist, hundeähnlich und flink” beschrieben.
Nun: Ich neige eher dazu, dass es sich um einen verwilderten Hund handelt - gehe jetzt aber schlafen. Und werde bestimmt von der gemeingefährlichen Bestie und dem Chupacabra träumen…

Weiterführende Links
Pellibuey
(359) Meine Moringa Mission
(360) Feuer auf Helvetia

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2 Kommentare

Kommentare

  1. Catherine Beuret

    09.05.2009 7:30

    Da kann ich nur feststellen, ich wäre gänzlich ungeeignet für ein Leben in Nicaragua. Verwundete Tiere, Tierärzte die nicht kommen, Geburtshelfer sein usw., da braucht es Pioniergeist. Gratuliere zum Mut und Erfolg.
    Herzliche Grüsse