Heinz Tock
  Seit 1997 mit Ehefrau Marta in British Columbia (CND)

(300) Aus dem Verkehr gezogen

(In dieser Stafette wirft der nach British Columbia (CAN) ausgewanderte Heinz Tock einen Blick zurück. Die Beiträge “Per Taxi auf Zeitreise durch die Autostadt Biel” hat Heinz Tock als junger Student und Taxifahrer aufgezeichnet).

In meinem Heft für “besondere Vorkommnisse” steht: “Sommerabend. Schönes Wetter”. Dieser Fahrgast will an den Goldgrubenweg 1. Ich lade ihn dort ab und bin auf der Rückfahrt zum Bahnhof.

Eskalationsstufe eins

Ein schwarzer Mercedes kommt mir entgegen. Er fährt deutlich “Zick-Zack”, und ich halte etwas verwundert an. Der Wagen fährt im Schritttempo, kommt auf mich zu und “tüpft” noch gerade meine Stossstange, bevor er anhält. Verwundert steige ich aus und gehe zum Fahrerfenster.
Der Mann am Lenkrad öffnet das Fenster und eine Alkoholschwade kommt mir entgegegen, die mich bei den heutigen strengen Promillevorschriften wohl fahruntüchtig gemacht hätte. Der ältere Herr im Nadelstreifen-Anzug grinst mich an. Ich habe im Moment kein grosses Verständnis für Spass, greife ins Auto und ziehe den Zündschlüssel ab.

Stufe zwei

Der Mann schaut verblüfft drein, steigt dann ruhig aus - und haut mir die Faust ins Gesicht. Der Schlag genügt nicht, mir eine blutige Nase zu verschaffen, aber ein Tränlein mag mir doch ins Auge gestiegen sein.
Inzwischen sind schon Anwohner auf das Ereignis aufmerksam geworden. Ich beherrsche mich daher und sage dem Mann: “Guet, der erscht Schlag isch dyne gsi. Wenn no einisch schlosch, hacke’n i di abe!” (Gut, der erste Schlag war deiner. Wenn du es noch einmal tust, schlage ich dich nieder!).
Ich rufe den Leuten am nächsten Fenster zu, sie sollten doch bitte die Polizei rufen.

Stufe drei

Der Mann, “in seinen besten Jahren”, grösser und schwerer als ich, hat sich soeben eine andere Strategie ausgedacht. Recht flink zieht er einen Ersatzschlüssel aus der Tasche und ist schon dabei, einzusteigen. Ich klemme ihn ein zwischen Tür und Türrahmen ein, indem ich mich mit meinem Gewicht gegen die Türe stemme.
Ich reisse ihm den Zweitschlüssel aus der Hand, und er kommt wieder auf mich zu.
Meine Pistole ist selbstredend in meiner Tasche. Ich fahre nie Taxi ohne die Waffe (siehe Beitrag 297).
Hier ist aber in keiner Weise eine Notwehrstuation gegeben. Zwar hätte ich möglicherweise eine “Zwei auf dem Rücken”, würde es der Mann darauf ankommen lassen. Aber er ist schwer betrunken und kann kaum stehen.

Endlich kommt ein Stadtpolizist auf dem Motorrad, und ich erkläre ihm, ich hätte den Mann festgenommen und übergebe ihn ihm jetzt.
Ich weiss nicht, ob der junge Polizist die Möglichkeit eines “zivilen Arrestes” im Falle eines Vergehens oder Verbrechens kannte, aber er muss ohnehin die KaPo (Kantonspolizei) kommen lassen, weil diese für FIAZ (Fahren in angetrunkenem Zustand) zuständig ist. Ich übergebe ihm die Schlüssel, versichere mich noch, dass an meiner Stossstange kein Kratzer ist und fahre davon.

Taktisches Verhalten auf Kanadas Strassen

Ein paar Anmerkungen aus heutiger Sicht:
In Kanada gilt nach wie vor die 0.8 Promille-Grenze. Hat die Polizei jemanden in Verdacht, angetrunken zu sein, so hat der Beamte zwei Möglichkeiten: Falls er der Meinung ist, der Lenker sei nur leicht angetrunken, so verfügt er auf der Stelle einen 24-stündigen Fahrausweisentzug. Der Lenker muss einen Ersatzfahrer aufbieten oder das Auto stehen lassen.
Falls er der Meinung ist, der Verstoss sei gravierend, fordert er den Lenker zum Blasen auf. Verweigert dieser, zu blasen, so erfogt eine Verzeigung “wegen Verweigerung der Messung”. Die mandatorische Strafe ist dieselbe, wie beim erstmaligen Erwischtwerden mit einem Blutalkoholgehalt von über 0.8 Promille: 6 Monate Ausweisentzug und CDN$ 600.- Busse.
Wer schwer angetrunken ist, fährt besser, wenn er das Blasen verweigert. Hat er nähnlich einen Blutalkoholgehalt von über 1.4 Promille, so ist die Strafe höher.
Eine Blutprobe kann die Polizei nicht anordnen. Das kann nur ein Richter und auch nur im Falle eines Unfalles.

Wann ist ein Verdacht ein Verdacht?

Also zu unserem Beispiel. In Toronto hält ein Polizist eine Frau wegen einer Verkehrsübertretung an. Da er ein “Gefühl” hat, fordert er die Lenkerin auf, zu blasen. Die Messung ergibt einen Wert von 1.4 Promille. Die Frau wird verzeigt. Sie nimmt den besten Anwalt, den Geld verschaffen kann. Pikantes Detail: Die Frau ist die geschiedene Gattin des vormaligen Premiers Trudeau.

Vor Gericht macht der Anwalt geltend, dass der Polizist gegen die “Charter of Freedom and Rights” verstossen habe. Der Fall müsse daher fallen gelassen werden. Diese Charter wurde von Premierminister Trudeau eingeführt. Sie gibt dem Kanadier, welcher vor Gericht ja gegen “die Krone” antritt, einen unglaublichen Schutz vor dem Kronanwalt, also dem Staat. Leider hat es sich gezeigt, dass in erster Linie professionelle Verbrecher davon profitieren konnten…

Nun also zurück zu Mrs. Truedeau. Im Kreuzverhör unter Eid, muss der Polizist zugeben, dass er die Frau nicht aufgehalten habe, weil sie durch eine unsichere Fahrweise aufgefallen wäre, sondern wegen einer Ãœbertretung. Er kann auch nicht mit Sicherheit sagen, dass sein Verdacht auf DUI (Driving Under the Influence) durch besonderes Verhalten der Angeklagten “begründet” war. Er hätte einfach “ein Gefühl” gehabt.
Das sogenannte “fishing” durch die Polizei , also das kaum oder nicht begründete “Forschen nach Gesetzesverstössen” irgend welcher Art, ist aber in der Charter ausdrücklich ausgeschlossen.
Der Fall fiel aus Abschied und Traktanden. Frau Trudeau bezahlte die Busse wegen ihrer Verkehrsübertretung wohl “mit Handkuss”.

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