Heinz Tock
  Seit 1997 mit Ehefrau Marta in British Columbia (CND)

(294) Praktische Psychologie

(In dieser Stafette wirft der nach British Columbia (CAN) ausgewanderte Heinz Tock einen Blick zurück. Die Beiträge “Per Taxi auf Zeitreise durch die Autostadt Biel” hat Heinz Tock als junger Student und Taxifahrer aufgezeichnet).

Suberg

Mein Fahrgast will nach Suberg gefahren werden. In meinem Schulheft - betitelt mit “Besondere Vorkommnisse” - stand, bevor ich die Begebenheiten auf den Computer übertrug: “Winternacht, kalt aber trocken. Schnee auf den Feldern”.

Der Fahrgast steigt aus und ich, damals noch Raucher, fahre zum Bahnhof von Suberg, um mir ein Paket Zigaretten aus dem Automaten zu holen.

Im kleinen Wartesaal sitzt ein junger Mann. Er beachtet mich nicht, und ich ihn auch nicht.
Da fährt ein Auto heran. Der Mann schaut aus dem Fenster, steht auf, rennt zur Tür und dann hinaus in die Nacht.
Ich gehe verblüfft zur Türe und sehe, dass dem Auto ein Kantonspolizist entsteigt. Er muss den Wegrennenden gesehen haben, aber er scheint keine Eile zu haben.
Er kommt auf mich zu und befragt mich über den Jüngling. Ich erzähle ihm das Wenige, das ich weiss.

Nackter Held im Winter

Dann spöttle ich ein bischen: “Weit der däm nit nocherenne?” (Wollen Sie ihm nicht nachrennen?) Der Kantönler, ein älterer Mann mit deutlich ein paar Pfunden über dem Idealgewicht, lacht: “Ne, nei. Das isch ke Schwärverbrächer. Mir hei es Telefon übercho, bym Bahnhof Subärg trybi sich a junge Exhibitionischt ume.” (Nein, nein. Das ist kein Schwerverbrecher. Wir haben einen Anruf erhalten, beim Bahnhof Suberg treibe sich ein Exhibitionist herum). Ich solle doch mitkommen und sehen, was nun geschehe. In aller Ruhe öffnet er die Autotüre und heraus kommt ein Rottweiler.
Er nimmt ihn an die Leine und geht an den Rand des Feldes, in welchem der Mann verschwunden war. Der Hund schnuppert und dann schnallt der Polizist den Hund los und sagt: “Hassan, fass!” Der Hund verschwindet in der Nacht.

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(Bild: fotosearch.ch)

Es geht nicht lange, da hören wir den Hund bellen und einen Mann aufschreien. “Jetz het er dä Glünggi” (Jetzt hat er den Halunken), stellt der Polizist zufrieden fest.

Nun werde er ein wenig warten. Der Hund habe den Mann jetzt wohl am Boden und bewache ihn. Wenn dieser auch nur einen Finger rühre, so fletsche der Rotti die Zähne und grolle. Er möchte den Helden sehen, der sich da nicht ruhig verhielte.

Er hoffe sehr, der Kerl mache sich die Hosen voll. Das sei für solche Leute viel “nachhaltiger” als eine eventuelle Verurteilung und dem ganzen “Chutzemischt” der studierten Psychologen.
Ich stimme dieser “praktischen Psychologie” durchaus zu. Er habe die Kollegen in Bern schon voravisiert; der “Panier à Salade” (Salatkorb) sei unterwegs.
Ich muss weiter, verabschiede mich mich und fahre zurück nach Biel.

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