(293) Reifen und Fahrer platt
(In dieser Stafette wirft der nach British Columbia (CAN) ausgewanderte Heinz Tock einen Blick zurück. Die Beiträge “Per Taxi auf Zeitreise durch die Autostadt Biel” hat Heinz Tock als junger Student und Taxifahrer aufgezeichnet).
Einträglicher Regen
Eine kalte, schwarze Dezembernacht 1957 mit Regen.
Schnee liegt in der Luft. Ein prächtiges Wetter für Taxifahrer! Ich stehe am Bahnhof in der Schlange der Taxis, die heute bei jedem Eintreffen eines Zuges rasch kürzer wird. Auch das Telefon aussen am Bahnhofgebäude läutet fast ununterbrochen. Es lohnt sich kaum, ein Buch in die Hand zu nehmen. Bald bin ich an der Spitze, und ein Mann steigt ein. Er will nach La Heutte. Wir fahren die Reuchenettestrasse hinauf und schon bei der Abzweigung nach Leubringen ist der Regen mit Schnee vermischt. Im Vallon liegt etwas nasser Schnee auf der Fahrbahn.
Es heisst, vorsichtig fahren!
Tauschgeschäfte
Der Fahrgast auf dem Nebensitz plaudert angeregt und erzählt mir von seinem Aufenthalt als Entwicklungshelfer im Kongo. Wie er dort bei den Pygmäen die komischen Basenji-Hunde gesehen hätte, die sich von Fäkalien, von Mäusen und Ratten ernährten. Auf der anderen Seite könne ein Mann für einen guten Basenji eine Frau erwerben. (Anmerkung aus heutiger Sicht: Wie hätte ich damals ahnen können, dass ich ein halbes Jahrhundert später selber einen solchen Hund haben würde. Allerdings wird er mit Hundefutter ernährt, und ich kann auch keine Nebenfrau für ihn eintauschen…).
Ich lade den Gast ab und erhalte ein schönes Trinkgeld.
Gutes Rad teuer
Zwischen La Heutte und Péry habe ich ein merkwürdiges Fahrgefühl. Da wird doch nicht etwa… Ich halte an und tatsächlich, ein Vorderreifen ist platt. Es schneit in grossen nassen Flocken und ich bin hell begeistert. Hinaus in den „Pflotsch”, Kofferraum auf. Da finde ich den Wagenheber - aber kein Reserverad. Ich bin überzeugt, dass die General Motors, welche den Vauxhall im Montagewerk Biel zusammenbaute, auch ein Reserverad mit verkauft hat.
Funk haben wir keinen, ein Telefon ist nicht in der Nähe, es herrscht so gut wie kein Verkehr. Ich entscheide mich, nach Péry zu marschieren und gehe los. Das Restaurant hat noch offen, und ich telefoniere Herrn Hassler, dem Taxihalter. Etwas empört teile ich ihm den Sachverhalt mit, worauf er mich auslacht. Ich fände unschwer im Kofferraum eine Vierkantmutter. Wenn ich die löste, so erschiene das Reserverad unter dem Auto. Globis Siege und Niederlagen!
Globi (Bild: Globi-Verlag)
Zurück zum Auto. Aufbocken. Das Rad ist dort, wo man mir gesagt hat.
Schweigen wäre Gold
Radwechsel. Neben dem Wetterproblem eigentlich kein Problem, selbst im Dunkeln. Und nasser kann ich ja kaum werden. Ich muss nach Hause gehen und mich umziehen, bevor ich weiter arbeiten kann. Dass Herr Hassler die Sache nicht für sich behält und ich ausser dem Schaden auch noch den Spott zu ertragen habe, darf wohl nicht überraschen. “Hesch es Resärverad?” ist für einige Zeit der Gruss der Kollegen.
Zwei Schlussbemerkungen aus heutiger Sicht: Einige Jahre später, als ich während drei Jahren als Experte im Strassenverkehrsamt in Zürich arbeitete und unter anderem Taxi-Prüfungen abnahm, verlangte ich immer etwa wieder, dass mir der Kandidat das Reserverad zeige und den Radwechsel beschreibe.
Wenn ich daran denke, dass ich heute, hier im Küstengebirge Kanadas mit meinem JEEP eine Reifenpanne hätte, so graust mir davor. Zwar habe ich mein Handy dabei, aber schon zehn Kilometer weg von der Küste bin ich ohne Verbindung. Ob ich mit dem CB-Funk - ich bin Radioamateur - eine Verbindung aufbauen und Hilfe herbeirufen könnte, wäre noch abzuklären. Aber das Rad selber zu wechseln ist eingedenk seines Gewichtes, meines Alters und meines Rückens eher fraglich…
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