Ueli Bugmann
  2008 mit Miriam nach Argentinien ausgewandert.

(263) Das Ticken der Latino-Uhren

Ungemach kündigt sich am Montag an. Sch…Wetter, kalt, Schneetreiben. Auf zur Bank. Warten. Ach ja, wir sollen anrufen und die Karte bewilligen lassen. Das könnte einem ja auch mal jemand sagen! Als nächstes wollen wir uns beim Einwohnermeldeamt anmelden, aber wegen einer Demo ist alles geschlossen.

Hindernisfrei ist anders

Also wieder unverrrichteter Dinge nach Hause. Das ist in Bariloche gar nicht so einfach, wenn man am Stock geht, wie ich. Unten am See ist die noble Gegend, wo sich auch die Touristen aufhalten. Geht man die steilen Hügel hinauf, wird es immer ärmer oder sagen wir mal „einfacher”. Hier spielt sich das richtige Leben der Einheimischen ab. Um nicht zu stürzen, muss ich aber immer genau aufpassen, wo ich gehe: Hindernisse wie zerbrochene Fussplatten, Löcher und manchmal unüberwindbare Stufen ohne Geländer erschweren auf den Trottoirs die Bewegung. Auf der Strasse zu gehen wäre wegen der Fahrweise der Automobilisten lebensgefährlich. „Oben” sind dafür die Läden um einiges günstiger als am See. Wie gesagt also, nachdem wir uns nicht anmelden konnten, geht es jetzt wieder zurück in unsere Wohnung. Zwischendurch noch bei der Apotheke vorbei, denn durch das viele Laufen habe ich mir eine grosse Blase eingefangen, welche inzwischen aufgeplatzt ist. Bei einem Diabetiker ist damit nicht zu spassen. In der Apotheke erhalten wir auch den Namen des besten Diabetikerarztes in Bariloche. Nach der obligaten Siesta besuchen wir einen Internetladen und verschicken E-Mails nach Europa und Buenos Aires und ins Landesinnere.

Null Hypothek, vier schwarze Daumen

Am nächsten Morgen sind wir wieder in der Bank. Wir möchten wissen, warum wir immer noch kein Geld abheben können. Ja, das gehe drei Tage. Wir verlangen eine andere Kreditkarte. Das gehe leider nicht, man kenne uns ja nicht, wir müssten warten, bis sie sehen könnten, wie viel Geld jeden Monat hereinkomme, und überhaupt: Einem Pensionierten gäben sie keine Hypothek für einen Hauskauf. Grund: eben, weil man Pensionierten keine Hypothek gebe…

Knapp erreichen wir doch noch das Einwohnermeldeamt, wo wir uns anmelden und den Wohnsitz eintragen lassen wollen. Ankommen, Schlange stehen. Erst müssen wir je eine Stempelmarke kaufen. Gott sei Dank im gleichen Gebäude. Wieder Schlange stehen, also wieder an der Schlange von vorhin anstehen. Nach einer weiteren Schlange werden wir nach Namen aufgerufen. Nochmals alles heruntergeleiert, dann pro Ausweis von jedem Daumen ein Abdruck, und 15 Minuten später haben wir tatsächlich den ersehnten Wisch in der Hand. Und je zwei schwarze Daumen!

Kafkaesk

Wenn man hier etwas erreichen möchte, braucht es viel Geduld und viel Zeit und noch mal viel Zeit. Ein anderes Beispiel ist die Art der Anmeldung beim Arzt: Ich solle einfach mal vorbeikommen. Resultat: vier Stunden warten. Bei der Bank läuft unter zwei Stunden gar nichts. Manchmal hilft nur noch List weiter, so wie bei meinem Versuch, in Buenos Aires den Führerschein umschreiben zu lassen. Man erklärt mir, ich müsse Theorie und Praxis neu machen. Das ist mir nach 40 Jahren unfallfreiem Fahren bei jährlich 100′000 bis 120′000 km zu blöd. Meine “viveza criolla” (sinngemäss „Bauernschläue”) habe ich noch nicht verlernt, und ich gehe erst hier in Bariloche zum Strassenverkehrsamt. Natürlich wieder Schlange stehen. Dann grosses Staunen: Man hat noch nie einen Schweizer Führerschein gesehen. Wo denn da das Foto sei. Auf meine Antwort, dass das nicht benötigt werde, wird getuschelt, zuerst mit dem Ober-, dann dem Unter-, dem Mittelchef, dem Schalterbeamten. Immer mehr Leute diskutierten mit.

Ja, Diabetiker können Auto fahren

Schliesslich der Entscheid: Ich solle ein ärztliches Zeugnis bringen. Man sagt mir, wo ich das bekomme und gibt mir den Rat mit auf den Weg, ja pünktlich um 8 Uhr dort zu sein, dann käme ich schnell an die Reihe. Bei dichtem Schneetreiben und einer Affenkälte tauchen wir dort pünktlich auf. Wir sind nicht die einzigen. Über ein Dutzend andere stehen bereits vor der verschlossenen Tür. Gegen 12 Uhr bin ich endlich dran. Ärztliche Untersuchung, Blutdruck gut, aber wieso ich am Stock ginge. Antwort: Diabetiker, der im linken Fuss wenig Gefühl hat. Ob ich denn ein spezielles Auto fahre, und: Er möchte es mal sehen. Das sei leider nicht möglich, erkläre ich dem Arzt, da der Wagen noch nicht ausgeliefert worden sei. OK, das werde im Zeugnis vermerkt. Nächste Stufe: Warten auf die Gehöruntersuchung, OK. Jetzt noch die psychologische Prüfung, auch OK.

Da war noch ‘was

Wir ziehen zum Strassenverkehrsamt weiter, wo wir freudig empfangen werden (so schnell sei noch nie jemand wieder hier aufgetaucht). Doch leider fehle noch etwas. Ich müsse noch zum Verkehrsgericht. Also gehen wir auch noch dort hin. Dort gebe ich zu Protokoll: Nein, ich habe keine Parkschulden. Nein, ich habe auch keine unbezahlte Strafzettel oder Unfallschulden. Ist ja auch wirklich nicht schwer - so ganz ohne Auto! Also wieder zurück zum Amt und kurze Beratung mit dem ganzen Büro. Endlich kommt der Schalterbeamte zurück und erklärt, der Chef meine, ich solle den Ausweis in zwei Tagen abholen, ich würde ja eh besser fahren als alle Einheimischen. Doch: Da sei noch was. Er müsse mit mir noch eine Runde im Innenhof fahren. Gerne, entgegne ich, wenn man hier einen Wagen mit automatischem Getriebe habe. Hat man nicht. Dafür muss ich den interessierten Zuhörern noch erklären, wie so was funktioniert.
Ein so erfolgreicher Tag mit zwei abgeschlossenen Behördengängen auf einmal will begossen sein, was wir dann bei Wein und einem guten Asado (Grill) auch ausgiebig tun.

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Kafkaesk
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