Heinz Tock
  Seit 1997 mit Ehefrau Marta in British Columbia (CND)

(117) Kanadische Politik

Wandert man aus, so wird einem rasch klar: Einiges ist in der neuen Heimat ähnlich, einiges weniges gleich, aber das meiste ist verschieden.
Nehmen wir als Beispiel die Wahlen in Kanada. Wir können die Bundesregierung, die Provinzregierung und den Gemeinderat wählen.
Da es kein Einwohnerregister gibt, muss man sich bemühen, auf eine Wählerliste zu kommen. Jede politische Partei wird einem dabei gerne helfen!

Wahlkreise, Parteien und Quebec als Zünglein an der Waage

Auf Bundesebene finden Wahlen alle vier Jahre statt. Oder wenn die regierende Partei eine Vertrauensfrage verliert.
Das Land ist aufgeteilt in kleine Wahlkreise. In jedem Wahlkreis stellen die Parteien, welche sich an Bundeswahlen beteiligen, je einen Kandidaten auf.
Bei den letzten Wahlen bemühten sich vier Parteien um Wählerstimmen. Meine Qualifikation ist sicher nicht ganz objektiv, ich wähle in der Schweiz immer (noch) freisinnig.
Es gibt hier die Grünen, die NDP (etwa vergleichbar der PdA), die Liberalen (entspricht in etwa der Sozial-Demokratischen Partei) und die Konservativen (etwa FDP oder CVP). Kanada ist von meinem erwähnten - nicht ganz objektiven - Standpunkt aus gesehen eher linkslastig. Aber wer auch immer eine Mehrheit erreicht, wird dies nur knapp tun. Das bedeutet, dass diese Partei in Ottawa einen Koalitionspartner finden muss. Dies gibt der Parti Québecois, die es selbstredend nur in der Provinz Québec gibt, einen immer währenden Einfluss auf die Bundespolitik. Man sagt dort stolz, Kanada sei Québec “et le rest du Canada”.
Um die Unabhängigkeitsbewegung ist es in den letzten Jahren ruhiger geworden, aber ich würde keine Wette eingehen…

Am Kugelschreiber erkannt

Nun ist also Wahltag. Wir gehen ins Wahllokal, legitimieren uns und erhalten einen Zettel und einen Bleistift. Auf dem Zettel stehen die Kandidatennamen. Wer vergessen hat, welcher Kadidat welche Partei vertritt, muss fragen; auf dem Zettel steht es nicht.
Ich verlange einen Kugelschreiber. Man ist verblüfft, dann, als ich mögliche “Radiergummis im Hinterzimmer” erwähne, empört. Wir machen unser Kreuz mit Kugelschreiber!
Von panaschieren, kummulieren oder streichen weiss man hier nichts.
Viel später erfahren wir durch Zufall, dass der Wahlausschuss bei der Auszählung unsere beiden Zettel als ungültig erklärte, weil sie zwei Wählern zugeordnet werden konnten. Touché!
Auf allen Ebenen gilt das Majorzprinzip: “Winner takes all!”
Würde in der Schweiz dieses Prinzip gelten, so hätte die SVP nach den letzten Wahlen über 90% der Abgeordneten.
In unserer Provinz treten nur die ersten drei der oben genannten Partein an. Die Konservativen, die momentan auf Bundesebene eine Minderheitsregierung bilden, rechnen sich keinerlei Chancen aus und bleiben aus dem Spiel. In B.C. regieren seit vier Jahren die Liberalen und werden wohl im Sattel bleiben.

Mehrheit wäre dafür, Proporz dennoch vom Tisch

Im Mai 2005 vor zwei Jahren stimmte das Volk in B.C. in einem der äusserst seltenen Referenden darüber ab, das Proporzsystem einzuführen. Die Regierung bestimmte die Parameter: Mindestens 60% der 79 Wahlkreise mussten dafür sein und insgesamt wurden 60% Ja-Stimmen verlangt. In 77 Wahlkreisen gab es zwar eine Ja-Mehrheit, alle Ja-Stimmen zusammen erzielten aber nur knapp 58% (Resultate). Das Projekt ist vorläufig vom Tisch.

Die meisten Kanadier könnte man nicht als “homo politicus” bezeichnen. Ihre Interessen gelten in erster Linie der Familie, dem Beruf und dem Sport. Und der Beruf ist gedacht als Zweck, man lebt nicht , um zu arbeiten, man arbeitet, um zu überleben.
Jedermann schaut in die Zukunft mit der Hoffnung, sich zwischen dem 55. und dem 60. Altersjahr pensionieren zu können. Davon wird noch die Rede sein..