Heinz Tock
  Seit 1997 mit Ehefrau Marta in British Columbia (CND)

(115) Mein Nachbar der Indianer

In Britisch Kolumbien leben etwa 100′000 Indianer, das sind rund 3% der Bevölkerung.
Die Frage, wer ein Indianer ist, kann ich nicht beantworten. Ich habe mir die Sache etwas vereinfacht und an die Nürnberger Rassengesetze der Nazis, aber mit anderem Vorzeichen, gedacht.

Positive Diskriminierung der Indianer

Im 1935 wurden die Juden klassiert und je mehr jüdisches Blut jemand hatte, desto weniger Bürgerrechte besass er. Hier und heute in Kanada ist es umgekehrt. Es muss jemand beweisen, indianische Wurzeln zu haben oder muss mit einem Indianer verheiratet sein, weil man dadurch Vorteile erwirbt. Niemand mehr wird zu irgend etwas gezwungen.
Kanada kannte nie die Indianerkriege, wie es sie in den USA gab. Aber die Weissen haben auch hier schwere Schuld auf sich geladen.
Man schätzt die indianische Bevölkerung im Jahre 1800 hier an der Sunshine Coast auf rund 20′000. Hauptsächlich durch die von unsern Vorgängern eingeschleppten Pocken fiel die Zahl bis zum Jahre 1986 auf rund 700. Dieses Jahr hat für die Indianer hier eine grosse Bedeutung.

Ringen um Rechte dauert an

Auch im 21. Jahrhundert ringen überall in Kanada die Ureinwohner noch um ihre Rechte. Die Regierung unserer Provinz wollte einen Versuch machen. Man begann 1966 mit dem hiesigen Indianerstamm (vier Unterstämme) zu verhandeln, und in dem besagten Jahr 1986 wurden die Sechelt zum ersten souveränen Indianer-Territorium Kanadas. Den Indianern gehört eigenes Land, sie bauen dort ihre Häuser, geben Land im Baurecht ab für Nicht-Indianer und sind Eigner einer der grössten Kiesgruben Nordamerikas. Kies wird per Barken bis Kalifornien hinunter transportiert. Das Spital, ein Einkaufszentrum, ein Indianer-Museum mit Verkaufsladen und das Theater stehen auf Indianerland.

Wiederbelebung

Mit einem eigenen Kindergarten und Kursen wird versucht, die alte Kultur wiederzubeleben. Die Quartiere der Indianer sind mit speziellen Strassennamen und farbigen Strassenschildern bezeichnet. Fussgänger sind jederzeit willkommen, der Fahrzeugverkehr ist auf Anstösser beschränkt.
Als Neuankömmling wollte ich ein wenig mehr wissen und fragte im Indianerladen nach einem Buch, das mir etwas Wissen über die hiesigen Indianer und ihre Sprache geben könnte. Die alte Squaw im Geschäft schaute mir tief in die Augen und sagte: “Weisser Mann. Ihr habt uns alles gestohlen. Das Land, die Kultur, die Sprache und unsere Kinder. Wir Alten versuchen nun verzweifelt, unseren Jungen etwas von der Vergangenheit mitzugeben. Lasst uns endlich in Ruhe!” Ja, es ist wahr. Wie in der Schweiz bei der Tragödie um die “Kinder der Landstrasse”, nahm man hier den Indianern ihre Kinder weg, um sie in Pflegefamilien und Heimen zu “Mitgliedern der Gesellschaft” zu machen. Wie in der Schweiz missglückte das Experiment fast vollständig. Ich habe für die alte Frau volles Verständnis.

Indianer in verschiedenen Welten

Die Enkelin entschuldigte ihre Grossmutter. Sie leitet das Museum und gehört zu denen, die sich voll in die modernen Gesellschaft integrieren und trotzdem mit der alten Kultur verbunden sein können. Eine wohlhabende und gebildete Oberschicht. Leider haben aber zu viele der Mitglieder des Indianerstammes in der modernen Gesellschaft nie Tritt fassen können.
Die “weisse” Bevölkerung hat kaum Beziehungen zu den Indianern. Man lebt eher nebeneinander, Schwierigkeiten im Zusammenleben gibt es kaum.

Alkoholismus ist ein grosse Problem und am Strand finden sich etwa betrunkene Indianer. In der immer noch viktorianischen Gesellschaft kann man noch heute für “Trinken in der Öffentlichkeit” verhaftet werde, auch wenn man sich keineswegs auffällig benimmt. Die Indianer geniessen etwas Sonderbehandlung, die Polizei jagt sie nicht.
Einige “Weisse” stören sich an den Trunkebolden. Ich setze mich etwa zu ihnen und plaudere ein wenig. Sie sind harmlos und belästigen niemanden.

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Kommentare

  1. Catherine Beuret

    14.03.2008 9:15

    Lieber Herr Tock, ganz grossen Dank für die interessanten Berichte. Ich war mir gar nie bewusst, was es bedeutet Dominion zu sein. Auch Ihre Ausführungen betreffend Indianer in Kanada regen zum Denken an. Ich bin schon gespannt auf Ihren nächsten Bericht.
    Freundliche Grüsse Catherine Beuret