Heinz Tock
  Seit 1997 mit Ehefrau Marta in British Columbia (CND)

(110) Familiennachzug - kein Lehrstück

Heute möchte ich die immer wiederkehrende Frage beantworten, wie jemand im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte im Alter von 62 Jahren nach Übersee auswandern kann.
Nun, die Geschichte begann, als Martas Tochter Michelle 1990 einen Kanada-Schweizer heiratete, der in der Schweiz arbeitete. Der junge Mann machte klar, dass er vor hatte, wieder nach Kanada zurück zu gehen und Michelle war von der Idee begeistert.

Erst entscheiden und dann kaufen? Umgekehrt geht’s auch.

Im Jahre 1992 flogen wir alle vier nach Kanada und reisten in der Provinz Britisch Kolumbien (23 mal so gross wie die Schweiz) umher. Marta und ich waren nicht allzu sehr überrascht, als die jungen Leute in Sechelt an der Sunshine Coast ein Grundstück kauften. Wir wussten aber nun, dass es ernst galt. Zurück in der Schweiz riss das Thema nicht ab und im Jahr darauf kauften wir “blind” ebenfalls ein Grundstück in Sechelt, etwa 400 Meter entfernt von dem unserer Tochter. Wir hatten die Liegenschaftshändlerin im Jahr zuvor kennen gelernt und vertrauten ihr vollkommen. Das Grundstück, wir sahen es ja erst 1997 in Wirklichkeit, war genau das Richtige für uns.

Den Jungen nach ins gelobte Land

Im nächsten Jahr, also 1993, kam Tim auf die Welt und Martin begann ernsthaft, die Auswanderung vorzubereiten. Er setzte das Jahr 1996 fest.
Marta und ich mussten uns entscheiden, ob wir uns anschliessen wollten, noch zuwarten oder gar auf eine Auswanderung verzichten sollten.
Ich beschaffte mir ein Buch über die Immigration in Kanada und fand eine Kategorie “Pensionäre”, die jedes Jahr eine gewisse Quote zugeteilt erhielten. Wie jeder andere Immigrant musste man sich frühzeitig anmelden und auf eine längere Wartefrist gefasst sein.
Na ja, was soll ich heute, nach so langer Zeit sagen? Wir liessen es laufen und konnten uns nicht entscheiden. Das Jahr 1996 kam und Michelle sagte uns, dass die Abreise nun auf Ostern 1997 festgesetzt sei.
An Weihnachten 1996 entschieden wir uns: Wir gehen!
Aber nun war es zu spät für das ordentliche Verfahren.

Wir machten nun etwas, das dumm und einfältig war. Wir kündigten unsere Wohnung, packten unsere Möbel mit denen der Jungen ein, lebten noch einige Wochen in einer leeren Wohnung auf geliehenen Matratzen am Boden und flogen im Spätsommer nach Kanada.
Ich hatte meinen geliebten Beruf aufgegeben und mir einen Betrag aus der Pensionskasse auszahlen lassen.
Hier hatte Martin mit seinem Vater begonnen, ein Haus für uns zu bauen. Wir wurden alle zu Handwerkern. Wir kauften ein Auto und lebten wie Kanadier.

Alle sechs Monate raus in die USA und wieder rein nach Kanada

Unser Touristenvisum war gut für sechs Monate. Wir wussten, dass über uns ein Damokles-Schwert hing. Nur wussten wir noch nicht, wie extrem dünn das Rosshaar war, an dem es hing, hatte man doch in der Zwischenzeit die Kategorie der Pensionäre aus dem Einwanderungsgesetz gestrichen!
Wir wussten aber, dass, wer sich illegal in Kanada aufhält, unweigerlich ausgewiesen wird.
Bevor die sechs Monate abliefen, kauften wir uns einen Wohnanhänger und reisten für zwei Monate nach Arizona. Wie erwartet erhielten wir bei der Wiedereinreise ein neues Visum für sechs Monate. Nach einem weiteren halben Jahr wiederholten wir die Übung. Wir kamen an die Grenze und erwarteten einen reibungslosen Ablauf.

Gnade vor Recht

Wir wurden ins Zollamt gebeten, und eine eingehende Befragung begann. Eines war uns von eigenen und fremden Erfahrungen bestens bekannt: Wer in Kanada oder den USA bei einer solchen Befragung bei einer Lüge ertappt wird, ist geliefert.
Wir beichteten. Zuerst wollte der Beamte verfügen, dass wir innert 14 Tagen auszureisen hätten, gab uns aber dann einen Monat Zeit, mit der Einwanderungsbehörde zu verhandeln.

Es hat hier keinen Sinn, diese Zeit der Ungewissheit und den damit verbundenen Nervenstress im Detail zu beschreiben. Nur die Tatsache, dass Marta 1966 aus der Slowakei illegal ausgereist war und ihr Kind erst nach zwei Jahren wiedersah, stimmte hier versöhnlich. Man wollte Mutter und Tochter, Grossmutter und Enkel nicht trennen.
Wir konnten das Immigrationsverfahren hier abwickeln und erhielten 1999 die Niederlassung.
In einem speziellen Gnadenerlass wurde auch mir gestattet, bei meiner Frau zu bleiben.
Unser Fall ist ausserordentlich, und ich möchte hier jedermann schwer abraten, ein Solches zu versuchen…

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Kommentare

  1. Urs Glauser

    27.01.2010 21:14

    Hallo Marta & Heinz,
    bin per Zufall auf Euren bericht gestossen! Habt Ihre eine neue E-Mail Adresse? Würde mich freuen wieder einmal von Euch zu hören!
    Freundliche Grüsse

    Urs