Eduard Meister
  2003 mit Ehefrau Milka nach Zentralserbien (SRB) ausgewandert.

(347) Anders als man denkt: Serbien - Србија

Bevor ich mit aktuellen Berichten aus Serbien weiterfahre, möchte ich meine neue Heimat etwas vorstellen. Es herrscht der weitverbreitete Glaube, Serbien sei viel weiter südlich als es tatsächlich ist. Wussten Sie,

  • dass die Südspitze der Schweiz bei Chiasso südlicher ist als der nördlichste Teil Serbiens bei Subotica an der ungarischen  Grenze?
  • dass Belgrad nörlicher liegt als Bologna in Norditalien?

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Belgrad stellt man sich meist viel südlicher vor, als es ist.

Es ist in der Tat so. Unsere Wohngemeinde Smederevska Palanka liegt ziemlich genau auf der Höhe von Bologna und trotzdem sind unsere Klimata nicht zu vergleichen. Die grosse Landmasse um uns herum (Luftlinie sind es 400km zur Adria, 600km zum Schwarzen Meer und zum Ägäischen Meer) beschert uns ein Kontinentalklima, das von tiefer Luftfeuchtigkeit, hohen Sommer- und tiefen Wintertemperaturen geprägt ist. Die Spitzentemperatur 2008 betrug 46,7 °C im Sommer und -18°C im Winter. Die Klimaveränderung ist auch hier deutlich zu spüren, waren doch vor 10 Jahren noch Tiefsttemperaturen bis -30°C und Höchsttemperaturen von “bloss” 40°C der Normalfall.

Ganz schön flach

Smedervska Palanka liegt nur 25km südlich der Donau, welche eigentlich die ungarische Tiefebene begrenzt. Daher ist es auch hier noch relativ flach was einen grandiosen Weitblick erlaubt. Wir sind auf 120 müM und die nächsten Erhebungen von bis ca. 600 müM liegen 10 bis 30km entfernt. Grossen unbebaute Landflächen prägen das Bild. Fast die Hälfte liegt brach (ungenutzte Graslandschaften, Wald und Buschlandschaften).

Land für ein Kaffee pro Quadratmeter

Eine grosse Veränderung ist vorläufig kaum zu erwarten. Die Landwirtschaft besteht zu über 90% aus Kleinbauern, welche nur für die Region produzieren. Die Produkte werden in den Frischmärkten täglich an die Bevölkerung verkauft (auch sonntags) und es wird nur produziert, was abgesetzt werden kann. An Export denkt hier niemand. Zonenpläne gibt es hier kaum, also könnte man doch brach liegendes Land als Bauland verkaufen. Die fehlende Infrastruktur (keine Zufahrtsstrassen, keine Wasserversorgung, keine Elektrizität) verhindert, dass überhaupt eine Nachfrage entsteht, obwohl der Quadratmeter Land für 2 Euro zu haben ist. Warum kommen keine ausländischen Investoren, welche auch die infrastrukturelle Erschliessung finanzieren könnten? Weil es hier eine simple Gesetzgebung gibt, die viel stärker greift als jede Lex, die den Ausverkauf der Heimat beispielsweise in der Schweiz einzudämmen versucht: Land kaufen kann jeder, kein Problem, aber Aufenthaltsbewilligung bekommt nur, wer mit einem oder einer serbischen Staatsbürger/-bürgerin verheiratet ist. Es ist ja wohl klar, dass kein reicher Ausländer das lustig findet, als Tourist nach jeweils drei Monaten das Land verlassen und wieder neu einreisen zu müssen. Was auch streng kontrolliert wird, es herscht Passpflicht und jede Ein- und Ausreise wird minuziös gestempelt.

Viel Herzlichkeit und wenig Stress

Es ist bestimmt der Lebensweise zuzuschreiben, dass - obwohl arm, oder vielleicht gerade deswegen - ein extremes Mass an Humor vorhanden ist. Die Veräppelung der andern gehört zur normalen Umgangsform. Was sofort auffällt, ist die Herzlichkeit und Fröhlichkeit der Leute. Wenn ich in der Schweiz durch die Strasse gehe, starre ich in ernste, gestresste Gesichter ohne Regung, ganz anders hier. Fröhlich lachende Leute, sich für den andern Zeit nehmend - wenn ich dich schon mal treffe dann unterhalte ich mich mit dir - alles andere kann warten! Ein theoretisches Beispiel, welches in irgend einer ähnlichen Form täglich vorkommen kann: A ruft B an und verabredet sich mit ihm. A verlässt das Haus und wird vom Nachbarn angesprochen: Hallo Nachbar, du hast doch eine lange Leiter, kann ich die mal ausborgen ich müsste da mal… Logisch, A kehrt ins Haus zurück und holt die Leiter und begibt sich weiter auf den Weg. Dabei begegnet er einem Mann mit einer Autopanne dessen Batterie leer ist. A hält selbstverständlich an, holt die Ãœberbrückungskabel aus dem Kofferraum und hilft die Karre wieder flott zu kriegen. Danach setzt er seinen Weg fort, trifft bei B mit fast einer Stunde Verspätung ein. Es bedarf keiner Erklärung, denn B weiss, dass da sicher etwas dazwischen gekommen ist, und? Dieses Umdenken bereitet vielen Einwanderern Mühe und das Verkehrteste was man tun kann, ist es, das ändern zu wollen.

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Weiterführende Links
Lex Koller, Friedrich, Furgler, von Moos, Celio…